(c) Heide
Kramer, 2001
Die Schwestern Hannah und Gabi Goslar in Amsterdam, 1942. (c) Heide Kramer, 1999
Hans Goslar wird 1889 in Hannover geboren und übersiedelt mit den Eltern 1894 nach Berlin. Hier vollziehen sich sein intellektueller Werdegang und das intensive orthodox-jüdisch-kulturelle Leben. Der Nationalökonom und Pressechef im Preußischen Innenministerium emigriert 1933 mit Ehefrau Ruth und der 1928 in Berlin geborenen Tochter Hannah Elisabeth nach Amsterdam/Holland. Hier begegnet ihnen der Kaufmann Otto Frank aus Frankfurt am Main. Auch er ist mit seiner Ehefrau Edith und zwei kleinen Töchtern Margot und Anne vor den Nationalsozialisten geflohen. Es existiert aber noch eine weitere Emigrantenfamilie: der Berliner Rechtsanwalt Franz Ledermann, seine Ehefrau Ilse und ebenso zwei kleine Mädchen Barbara und Susanne. Die Familien schließen sich sofort zusammen und unterstützen sich gegenseitig.
Das
Schicksal der Freundinnen
Anne Frank Als am 10. Mai 1940 Hitlers Wehrmacht die Niederlande überfällt, ist für die Mädchen die sorglose Zeit vorbei. Im Juli 1942 versteckt sich Anne Frank mit ihren Eltern und der Schwester Margot in der Amsterdamer Prinsengracht 263. Hier schreibt sie bis zur Verhaftung durch die Gestapo im August 1944 ihr Tagebuch. Mit diesen erhalten gebliebenen präzisen Aufzeichnungen wird Anne Frank der Nachwelt ein wertvolles Zeitdokument hinterlassen. Susanne Ledermann
Susanne Ledermann wird mit ihren Eltern am 20. Juni 1943 bei
einer Großrazzia der Deutschen in Amsterdam unmittelbar aus ihrer Wohnung
geholt. Die Menschen gelangen über das Judendurchgangslager Westerbork nach
Auschwitz und werden dort ermordet. Susannes ältere Schwester Barbara kann nur
deshalb entkommen, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt bei Freunden aufhält. Nach
der Deportation ihrer Eltern und der Schwester gelingt es ihr, bei christlichen
Freunden unterzutauchen. Nach 1945 emigriert Barbara Ledermann in die USA. Sie
heiratet den Wissenschaftler und späteren Nobelpreisträger Martin Rodbell.
Barbara Rodbell-Ledermann lebt inzwischen verwitwet noch heute in North
Carolina/USA.
Hannah Goslar Inzwischen lebt die Familie Goslar in ihrer Amsterdamer Wohnung unter den größten psychischen Belastungen. 1942 zieht das Unglück in das Haus Goslar ein: zunächst stirbt Hannahs Mutter während der Geburt des dritten Kindes, das nicht am Leben bleibt. Kurze Zeit später erliegen auch die 13-jährige Hannah, ihre 1940 in Amsterdam geborene Schwester Gabriele, der Vater Hans Goslar und die in der Nachbarschaft lebenden Großeltern am 20. Juni 1943 der Großrazzia der Deutschen. Mit anderen Menschen werden sie aus ihren Häusern vertrieben, zunächst in das Judendurchgangslager Westerbork und anschließend nach Bergen-Belsen verschleppt. Hier gehen der Vater und die Großeltern zugrunde. Hannah und Gabriele sind nun völlig allein. Im April 1945 geraten die Schwestern auf Veranlassung der Nazis mit Tausenden anderer Häftlinge in einen Viehwaggon, der in die Geschichtsschreibung als "Der Zug der Verlorenen" eingeht. Ziel: Theresienstadt und andere Vernichtungslager. Die Rote Armee befreit die sechzehnjährige Hannah, ihre viereinhalbjährige Schwester Gabriele und andere Überlebende bei Tröbitz in Brandenburg. Die Schwestern Hannah und Gabi Goslar landen im verlassenen Haus des Bürgermeisters der benachbarten Gemeinde Schilda. Dieses Haus bietet den beiden Mädchen zwar zunächst eine Unterkunft, aber weder Schutz noch Obdach. Als sich Hannah erschöpft in ein Bett legen will, entdeckt sie an den Wänden des Zimmers eine hellgrüne, mit Hakenkreuzen gemusterte Tapete. Wie sich später herausstellt, gehört dieses Zimmer der 19-jährigen Tochter des Bürgermeisters.
Die
Schwestern heute
Heide Kramer mit Rachel Mozes und Hannah Pick-Goslar in Berlin, 2001 (C) Heide Kramer
Hannah
Pick-Goslar im Gespräch mit jungen Menschen
Hannah Pick und Rachel Mozes in Berlin, 2001
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EIN BILD FÜR HANNAH oder AHAVA HEISST LIEBE Anne
Franks Freundin Hannah Pick-Goslar erhält mein Aquarell: "Die
Freundinnen Hanne, Sanne, Anne und das Moortje"
(Persönliche
Übergabe am Sonnabend, dem 3. Juli 1999 um 17.00 Uhr im Hotel
"Savoy", Fasanenstraße 9 in Berlin) Es
war mein lang gehegter Plan, für die beste Freundin Anne Franks aus der
Amsterdamer Emigration eine künstlerische Impression zu erarbeiten. - Hannah
Pick-Goslar, die von Anne in ihrem Tagebuch "Hanne", "Hanneli"
oder auch "Lies Goosens" genannt wird, lebt heute in Israel
(Jerusalem). Der Wunsch, Hanne mein Aquarell aber auch persönlich auszuhändigen,
sollte sich realisieren. "Wer
uns zusammen sah, sagte immer: "Da laufen Anne, Hanne und Sanne
(...)".-- Dieses
Zitat aus Annes Tagebuch vom 14. Juni 1942 brachte mich auf die Idee, meinen künstlerischen
Experimentiergeist herauszufordern. Doch bevor ich das praktizierte, wollte ich
mich selbstkritisch der Frage stellen, ob meine eigenen Möglichkeiten
ausreichen würden, den Satz Anne Franks bildnerisch so aussagekräftig
umzusetzen, um die Menschen dafür einzunehmen bzw. ihr Interesse zu gewinnen. Ich
stellte mir vor, wie sich das Zusammensein dieser Kinder abgespielt haben könnte:
drei junge Mädchen erfreuen sich ihres Lebens, was an und für sich nichts Außergewöhnliches
ist. Doch hier lief es anders: diesen Mädchen stand die Freude am Leben nicht
zu. Ihr Leben war nicht gefragt, es hing am seidenen Faden: vielmehr wurde
danach getrachtet, es auszulöschen. Ernste
Gedanken machten sich in der Amsterdamer Emigration die Mädchen Hannah Goslar,
Susanne Ledermann und Anne Frank vorläufig nicht. Ihren
im Jahre 1933 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohenen Eltern war
es bislang gelungen, den Kindern ein sorgloses Leben zu bieten und die
politischen Ereignisse von ihnen fernzuhalten. Diese Mädchen gingen ganz normal
zur Schule, sie pflegten Freundschaften, Kontakte, Interessen. Als jedoch 1940
die Deutsche Wehrmacht die Niederlande überfiel, blieb auch den
herangewachsenen Freundinnen nicht mehr alles verborgen: sie wußten inzwischen
sehr gut, was der gelbe Stern bedeutete, der ihnen und unzähligen anderen
Menschen angeheftet worden war. Mein
Bild sollte aber ausschließlich der fröhlichen Notiz Anne Franks entsprechen
und auch so verstanden werden. Die genannten Aspekte und mein Arbeitseifer führten
endlich zu dem Aquarell, das man anschauen kann als : "DIE FREUNDINNEN
HANNE, SANNE, ANNE UND DAS MOORTJE". Welche
Rolle spielt "Moortje"? Annes Kätzchen "Moortje" war ihr Lebensinhalt, ihm galt ihre ganze Zuwendung, und es bestimmte Abläufe in ihrem Leben. Anne Frank dokumentierte ihre "Moortje" meistens drollig-kindhaft, so dass ich entschied: die Katze darf auf meinem Bild nicht fehlen. So belegen auch Autorinnen und Autoren die Existenz der "Moortje", wie zum Beispiel Ernst Schnabel in "Anne Frank - Spur eines Kindes", Hannah Pick-Goslar in "Erinnerungen an Anne Frank", Miep Gies in "Meine Zeit mit Anne Frank". - Die kleine schwarze Katze "Moortje" gehörte zu Anne, wurde heiß geliebt und im Versteck in der Prinsengracht bitter vermisst.
Anne
schrieb am 12. Juli 1942: "Moortje ist mein weicher und schwacher Punkt.
Ich vermisse sie jede Minute, und niemand weiß, wie oft ich an sie denke".--- Die
Notwendigkeit gebot, das Kätzchen zurückzulassen. Wie wir heute wissen, wurde
"Moortje" nach dem Fortgehen der Familie Frank bei Annes Freundin
Toosje (in der Nachbarschaft) sicher untergebracht.
Die
Übergabe Der
3. Juli steht nun für die persönliche Übergabe meines Bildes an Hannah
Pick-Goslar. Sie ist derzeit Gast der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen
(RAA) in Strausberg, und so kann unser Zusammentreffen günstig eingerichtet
werden. Der 3. Juli fällt auf einen Sonnabend,-- ein Grund für die strenggläubige
Hannah Pick-Goslar, anlässlich der Schabbath-Feierlichkeiten vorübergehend
nach Berlin überzusiedeln. Aber
sie nimmt sich Zeit für mich, und wir verabreden 17.00 Uhr für das Treffen in
ihrem Berliner Hotel, das sich nahe der Synagoge befindet. Ich
sitze im Gartenlokal des Hotels einer lebensnahen, klugen, aber auch
humorvoll-charmanten Dame gegenüber. Hannah Pick-Goslar ist seit längerem in
mein Vorhaben eingeweiht, doch als sie mein Freundinnen-Aquarell entgegennimmt,
werden Emotionen spürbar.
Hannah
Pick-Goslar Ich
kenne ihre Biografie seit Jahrzehnten nicht allein aus Annes Tagebuch, sondern
von Funk, Fernsehen, aufgezeichneten Gesprächen, ihr Gesicht ist mir von vielen
Fotos vertraut. Hannah Pick-Goslar nun aber wirklich gegenüberzusitzen, ist mir
zunächst etwas unbegreiflich. Doch dieses Gefühl ist schnell überwunden. Sie
ist sehr aufgeschlossen, aber wiederum distanziert und gefestigt. War
diese letztgenannte Eigenschaft gar in jenen grauenvollen Zeiten eine schützende
Hülle für die schutzlose Hannah? Ich erfahre, dass ihre im Jahre 1940 geborene
Schwester Gabi niemals deutschen Boden betreten wollte und es auch künftig
nicht tun wird. Die
Schwestern Goslar litten mit zahllosen anderen in Bergen-Belsen. Anfang April
1945 entstand hier das Gerücht, das gesamte Lager solle nach Theresienstadt
evakuiert werden. Die Evakuierung des Lagers war jedoch kein Gerücht. Die Nazis
beabsichtigten, die Häftlinge loszuwerden, um die Verbrechen auf diese Weise zu
vertuschen. Allein auf sich gestellt, nachdem Eltern und Großeltern gestorben
waren, traten die 16-jährige Hannah und ihre vierjährige Schwester mit
tausenden anderer Häftlinge die Fahrt in Viehwaggons an. Noch kurz vorher
konnte Hannah in Bergen-Belsen auch für ihre Freundin Anne Frank sorgen, für
deren Schwester Margot war es bereits zu spät. Nach
zahlreichen qualvollen, immer wieder durch Tiefflieger unterbrochenen Reisetagen
im Viehwaggon, Angst und Tod als ständige Begleiter, befanden sich die am Leben
gebliebenen Häftlinge unter den unmenschlichsten Bedingungen endlich in der
kleinen brandenburgischen Gemeinde Tröbitz. Hier vollzog sich für sie die
"Befreiung" durch die Rote Armee. Die Schwestern Hannah und Gabi
Goslar landeten im verlassenen Haus des Bürgermeisters der benachbarten
Gemeinde Schilda. Dieses Haus bot den beiden Mädchen zwar zunächst eine
Unterkunft, aber weder Schutz noch Obdach. Als Hannah sich zutiefst erschöpft
in ein Bett legen wollte, entdeckte sie an den Wänden des Zimmers eine hellgrüne,
mit Hakenkreuzen gemusterte Tapete. Zudem wies alles darauf hin, dass hier ein
junges Mädchen ihres Alters gelebt haben musste. (Hinweis: siehe Fußnote auf
Seite 6!) Anne
Franks Vater Otto hatte nach seiner eigenen Befreiung aus Auschwitz vom Überleben
der Schwestern Goslar erfahren. Er beschloss, sich ihrer anzunehmen. Doch bevor
dieses für ihn praktizierbar sein konnte, führte der Weg der beiden
schwerkranken Mädchen durch Unterstützung des Roten Kreuzes zunächst nach
Leipzig und anschließend in ein Krankenhaus nach Maastricht. Durch Otto Franks
Einsatz gelang es später, die Mädchen zu Verwandten in die Schweiz einreisen
zu lassen. Etwas
später setzt sich Hannah Picks 15jähriger Enkel "Raffi" (Rafael) zu
uns in das Gartenlokal. Von ihren zehn Enkelkindern begleitet dieses Mal er
seine Großmutter auf ihrer Reise. "Raffi" spricht mit Hannah Pick
ausschließlich Hebräisch. "Er lernt jetzt auch gerade Englisch",
erklärt sie mir, und ich habe den Eindruck, dass "Raffi" zunächst
etwas skeptisch die "Lage" prüft. Sein Vater und Hannah Picks
Schwiegersohn Shmuel Meir ist stellvertretender Bürgermeister von Jerusalem,
bevor er am 3. Dezember 1996 durch einen Autounfall tödlich verunglückt. --- Ich
habe Hannah Picks Buch "Erinnerungen an Anne Frank" mitgenommen.
Hannah hat es ihren Kindern und Enkeln, ihrem auf jene tragische Weise
gestorbenen Schwiegersohn und Miep Gies, die Margot und Anne Frank beschützt
hat, gewidmet. Ich
lenke bewusst das Thema nicht schwerpunktmäßig auf Anne Frank, denn es ist
kein Zufall, dass mein Bild "die Freundin Hanne" zuerst benennt. Diese
Arbeit soll eine Hommage an drei Kinder sein. Doch zwei der Mädchen in meinem
Bild hatten den unausweichlichen Todesweg zu gehen: Sanne1 wurde 1943 in den
Gaskammern von Auschwitz ermordet, Anne2 verhungerte im März 1945 in
Bergen-Belsen. Nur die im Bild dargestellte Hanne3 kam gerade soeben davon. Sie
ist gezielt die Empfängerin meines Bildes. Hannah
Goslar entschloss sich nach dem Krieg, in Israel Kinderkrankenschwester zu
werden. Sie wird in den darauffolgenden Jahren auch als Schul- und
Sozialschwester an einer Beratungsstelle für Frauen, Mütter und Kinder
arbeiten. Aus dem eigenen Leid heraus ist ihr Bestreben gewachsen, auf der Seite der Schwächeren zu stehen und ihnen zu helfen. Sie heiratet und verwitwet. Gegenwärtig lebt sie allein ohne jedoch allein zu sein, denn sie praktiziert nach wie vor den Dienst an Menschen; Hannah Pick-Goslar hat zudem eine große Familie. Eine andere wichtige Aufgabe sieht sie unverändert darin, Nachrichten an die Nachgeborenen zu senden. Dieses bleibt ihr ein ernstes Anliegen. Sie reist in die Welt, um mit Menschen zu reden, Vorträge zu halten und im Sinne des eigenen Erlebten ihre Botschaft mitzuteilen, auch im Sinne Margot und Anne Franks sowie aller Namenlosen, denen zu äußern es nicht vergönnt ist:
NIE
WIEDER AUSCHWITZ !
Stunden
voll intensiver Gespräche, Offenheit mit- und untereinander schaffen eine
entsprechende Atmosphäre. Trotz schmerzender Knie möchte sie dennoch mit mir
einen Spaziergang unternehmen. So gehen wir durch die abendlichen, sehr heißen
belebten Straßen Berlins und haben eine Menge Themen, auch der an vielen Dingen
äußerst interessierte
"Raffi" ist dabei. Hannah Pick zeigt mir ferner, wo sich heute die
Synagoge befindet: sie ist seit Kriegsende in der ehemaligen Loge in einem
Hinterhaus in der Joachimsthaler Straße beheimatet. --- Um
fast 21.00 Uhr begleite ich beide zurück zum Hotel "Savoy". Es ist
mein eigener Wunsch, noch mitzukommen. Hannah Pick ist damit einverstanden, und
sie bittet mich in dem Zusammenhang um einige Handlungen, die strenggläubige
Juden am Schabbath nicht ausführen dürfen. Ich merke: auch hierin lerne ich
eine Menge dazu. So
werde ich in ihre Hotelräumlichkeiten eingeladen, und ich betrachte das als
Ausklang eines für mich äußerst bedeutungsvollen Tages. Im
Zimmer betrachtet "Raffi" das "Freundinnen-Bild" intensiv
und konstatiert, ihm sei aufgefallen, dass seine Großmutter Hannah da aussehe,
als sei sie viel älter als ihre Freundinnen Sanne und Anne, sie wirke wie eine
Mutter, die sich um alle sorgt. Anne Frank dagegen komme ihm dagegen klein und
kindlich vor. -- Hannah Pick gibt ihm Recht und lächelt wehmütig: "Das
stimmt, ich mußte mich ja auch ständig um alle und alles wie eine Mutter kümmern!!"---
Anne Frank war ein halbes Jahr jünger als Hanne und Sanne und tatsächlich für
ihr Alter klein und zart. Bald
darauf will "Raffi" von mir wissen, ob ich an Gott glaube, und da
kehrt ganz plötzlich das Entsetzensgefühl zu mir zurück, das mich während
meiner Exkursion nach Auschwitz im Oktober 1997 auf dem Gelände des Stammlagers
I und in Birkenau überfallen hat. Die Antwort, die der ebenfalls strenggläubige
"Raffi" von mir erwartet, kann ich ihm nicht unbefangen geben. Hannah
Pick blickt mich aufmerksam an, sie durchschaut wohl meine Gedanken und sagt:
"Sicher, Gott hat sie alle dorthin gehen lassen...".--- Mir
ist nicht entgangen, dass sie aufmerksam das hiesige Geschehen beobachtet,
interessierte Fragen stellt und über alles sehr gut informiert ist. Außerdem
hat sie ihre ehemalige Muttersprache durchaus nicht vergessen. Sind einige von
Hannahs Wurzeln trotz der Entwurzelung in Deutschland verblieben? Fragende
Blicke auf ihre Kopfbedeckung (ein modischer Hut), die trotz kaum auszuhaltender
Hitzegrade unverändert auf ihrem Kopf verbleibt, entgehen ihr nicht. Sie verrät
den Grund: es ist ein Ritual strenggläubiger jüdischer Frauen, und später
sagt mir Hannah, in ihrem Falle bedeute das auch Würdigung für ihren zweiten
verstorbenen, ebenfalls strenggläubigen Ehemann. Für
Hannah Pick-Goslar gibt es eine verwandtschaftliche Verbindung nach Hannover.
Ihr Vater Hans Goslar war Ministerialrat für Innere Angelegenheiten und
Pressechef des Preußischen Kabinetts in Berlin bis zu seiner Emigration nach
Holland in 1933. Hans Goslar wurde 1889 in Hannover geboren. 1894 zog Familie
nach Berlin. Als
ich zu fortgeschrittener Stunde wieder in meiner Pension bin, schaue ich mir in
Ruhe Hannah Pick-Goslars Geschenk an. Sie hatte mir das kleine Päckchen anfangs
im Gartenrestaurant gegeben, und ich höre jetzt deutlich ihre Stimme:
"Hoffentlich wird sie oft getragen!" Die silberne Anstecknadel ist die
Replik einer Stahlskulptur, die der amerikanische Künstler Robert Indiana im
Jahre 1978 kreierte und die dem Israel Museum in Jerusalem als Geschenk übereignet
wurde. Das Monument demonstriert außerdem mit dem hebräischen Wort "Ahava"
den Wunsch nach Frieden mit und in der Welt: AHAVA
HEIßT LIEBE. 1 mittig im Bild 2 links im Bild 3 rechts im Bild i Frau Pick-Goslar berichtete mir
im Sommer 2000 fernmündlich aus Israel, sie habe vor einigen Jahren Tröbitz und
Schilda/Brandenburg aufgesucht und dort mit (noch lebenden) Zeitzeuginnen und
Zeitzeugen gesprochen. Sie begegnete auch der Tochter des im April 1945
amtierenden Bürgermeisters in Schilda. Dabei stellte sich heraus, dass es sich
bei der Frau um die Bewohnerin jenes Zimmers mit der grünen Hakenkreuztapete
handelte, in dem Hannah und Gabi nach der "Befreiung" im April 1945 für einige
Tage untergekommen waren. Frau Pick-Goslar gab sich als ehemaliger Häftling (DP)
des Konzentrationslagers Bergen-Belsen vom 'verlorenen Zug' und seinerzeitige
Zufluchtsuchende im (verlassenen) Bürgermeisterhaus zu erkennen. Die Tochter des
Bürgermeisters beschuldigte nun in peinlicher Weise1) Frau Pick-Goslar des
Diebstahls. Die Frau behauptete, sie habe damals nach Rückkehr in ihre
Räumlichkeiten zahlreiche Dinge vermisst, die nur sie, Frau Pick-Goslar,
gestohlen haben könne.
Weitere Links zum Thema:
Anne Frank - das Mädchen auf dem Bild Interner Link auf einen Vortrag von Heide Kramer.
Informationen und Materialien zusammengestellt von Heide Kramer für das Projekt "Lernen aus der Geschichte" (Infos).
Ausführliche Texte und weitere Aquarelle von Heide Kramer.
Wer mehr über die Künstlerin und Freundin von Hannah Gosslar erfahren möchte, kann sich auch persönlich an Frau Kramer im Forum wenden. |