Gespräch mit Buddy Elias (November 2006)

Trauer um Buddy Elias.

 

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© Von Heide Kramer, Hannover

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Bildtitel: Erinnerungen an Anne Frank.
Vortrag von Buddy Elias in der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Sonntag, 14. Juni 2009. 11.00 Uhr.

Foto: ©Heide Kramer, 14. Juni 2009

Der Schweizer Schauspieler Buddy Elias, Cousin von Anne Frank, ist mit 89 Jahren gestorben. Er war der letzte noch lebende direkte Verwandte von Anne Frank.
Herr Elias wäre am 2. Juni 90 Jahre alt geworden.

"Von den Jugendlichen geliebt"
Frankfurter Rundschau zum Tod von Buddy Elias vom 18. März 2015

 

Rückblick

Am 3. November 2006 wurde um 13.00 Uhr die neue ständige Ausstellung "Anne Frank. hier & heute" in den Räumen des Anne-Frank-Zentrums in Berlin-Mitte feierlich eröffnet. Unter den Ehrengästen befanden sich unter anderem Anne Franks Cousin Buddy Elias aus der Schweiz sowie Anne Franks Freundinnen Hannah Pick-Goslar aus Israel und Barbara Rodbell aus den USA.

"Ich wäre so gern noch einmal mit ihr Schlittschuh gelaufen"

 

Annes Cousin Buddy Elias bei einem Gedenkstein zur Erinnerung an Anne und Margot Frank auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen.

Dineke Stam - Anne Frank Magazine 2000

Buddy Elias ist ein Cousin von Anne Frank. Seine Mutter Leni (Helene) Elias Frank war die einzige Schwester von Otto Frank. Buddy wurde am 2. Juni 1925 geboren und bekam den Namen Bernhard. Buddy und sein älterer Bruder Stephan waren oft mit ihren Cousinen Margot und Anne Frank zusammen, die ebenfalls in Frankfurt am Main wohnten. Stephan nannte seinen Bruder Buddy, aber Anne sagte zu ihrem Cousin immer Bernd.

 

Auf dem Bahnhof von Basel, 1936. V.l.n.r. Alice Frank-Stern, Buddy, Stephan, Leni Elias-Frank, Erich Elias.

Buddys Vater Erich Elias war einer der Gründer der Firma Opekta. Opekta war der Markenname eines Geliermittels zur Marmeladenherstellung. 1929 ging Erich Elias nach Basel, um eine Filiale für den Opekta-Vertrieb in der Schweiz zu gründen. Leni, Stephan und Buddy folgten 1931. Erich Elias sorgte auch dafür, dass Otto Frank 1933 in den Niederlanden eine Handelsvertretung für Opekta eröffnen konnte. Die Familien blieben in Kontakt, so lange es die politischen Umstände erlaubten. Buddy Elias wurde Schauspieler und trat auch einige Jahre als Schlittschuhläufer in einer Eisrevue auf. Seit 1996 ist er außerdem Präsident des ANNE FRANK-Fonds in Basel, der die Urheberrechte an Anne Franks Tagebuchtexten verwaltet. Ein Interview über sein Leben und seine berühmte Cousine.

„Ich wollte immer Schauspieler werden“, sagt Buddy, „aber mein Vater war der Meinung, das Theater biete zu wenig Sicherheit. Er verlangte, dass ich einen anderen Beruf wählen sollte und schickte mich in eine Optikerlehre. Dazu hatte ich aber überhaupt kein Talent, es war eine Katastrophe! Nach einem Dreivierteljahr sah er ein, dass daraus nichts würde, und von da an habe ich mich nur noch mit der Schauspielerei beschäftigt. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, dass ich auch mit Anne Theater gespielt habe, im Haus unserer Großmutter. Das muss um 1937 gewesen sein. Ich sehe es noch so vor mir. Wir spielten Theater mit Puppen, und wir haben uns verkleidet. Wir imitierten die Erwachsenen. Ich war auch ein ziemlich wildes Kind und immer zum Spielen aufgelegt. Anne war genauso, sehr lebendig und verspielt. 1938 habe ich Anne zum letzten Mal gesehen, in den Bergen, in der Schweiz.“

 

Holiday on Ice

 

Holiday on Ice

Eis-Show 1941. Buddy (links) spielt einen Bauern, sein Kollege einen vornehmen Bürger aus der Stadt.

„Anfangs wohnten wir in Basel direkt gegenüber der damals größten Kunsteisbahn Europas. Wenn meine Eltern mal ihre Ruhe haben wollte, schickten sie mich auf die Eisbahn. Ich war vom Schlittschuhlaufen ganz begeistert und ging oft hin, und so hat eigentlich meine Eislaufkarriere angefangen. Zuerst war es ein Hobby und dann wurde es zum Beruf. Nach der Schauspielschule ging ich zum Theater, und 1947 fing ich in einer englischen Eisrevue an. Danach wurde ich von Holiday on Ice engagiert. Es war eine schöne Zeit, wir waren mit der Eisrevue sogar in Ägypten. Später habe ich mich wieder mehr aufs herkömmliche Schauspielern verlegt, und heute stehe ich hin und wieder auf der Bühne oder spiele in einem Film mit.“

 

Annes Tagebuch

Anne schreibt in ihrem Tagebuch mehrmals etwas über „Bernd“. Anfang Oktober 1942 malt sie sich einen Besuch in Basel aus: „Ich stelle mir jetzt vor, dass … ich in die Schweiz gehe und alles mitnehme, auch die Möbel und Geld. Wir kommen dort an, Papa und ich schlafen in einem Zimmer, während das Studierzimmer der Jungen [Stephan und Bernd] mein Zimmer wird, wo ich sitze und meine Gäste empfange. Dort haben sie als Überraschung neue Möbel gekauft mit Teetisch, Schreibtisch, Sesseln und Diwan, einfach großartig. Nach ein paar Tagen gibt Papa mir 150 Gulden, umgerechnet natürlich, aber ich werde einfach Gulden sagen, und sagt, dass ich dafür alles kaufen soll, ausschließlich für mich selbst, was ich für nötig halte.“ Dann macht Anne eine lange Liste von Kleidern, die sie zusammen mit Bernd kaufen möchte, mit einer Übersicht der Kosten, zum Beispiel:
4 Paar Seidenstrümpfe à f 0,75 = f 3,00
4 Paar Kniestrümpfe à f 0,50 = f 2,00
4 Paar Socken à f 0,25 = f 1,00
2 Paar dicke Socken à f 1,00 = f 2,00
3 Knäuel weiße Wolle (Hosen, Mütze) = f 1,50

Eiskunstlauf

Am 18. Oktober 1942 reist Anne in ihrer Phantasie wieder in die Schweiz. „Bernd lehrt mich eifrig Eiskunstlaufen und ich werde seine Partnerin, da der Partner doch zufällig weg ist. Wir bilden zusammen ein reizendes Paar und jeder ist hingerissen.“ (Die Tagebücher der Anne Frank, hrsg. v. Niederländischen Staatlichen Institut für Kriegsdokumentation, S. Fischer 1988) Anne malt sich dann aus, wie ihre holländischen Freunde und Freundinnen dank Foto und Film Zeugen des Eistanzes werden. Das letzte Mal kommt Buddy in Anne Franks Tagebuch am 30. Juni 1944 vor. „Wir haben von Basel gehört, dass Bernd die Rolle des Wirts in ‚Minna von Barnhelm’ gespielt hat. Künstlerische Neigungen, sagt Mutter.“ Wie schon zuvor bei Erich Elias zeugt auch Edith Franks Reaktion von wenig Vertrauen in eine mögliche Theaterkarriere Buddys. Trotzdem gelang es ihm nach kurzer Zeit, mit seinem Talent zum Familieneinkommen beizutragen. „Vor dem Krieg und auch während des Krieges habe ich dank des Eiskunstlaufs gut verdient. Es war in der schwierigen Nazizeit, und wir mussten sehen, dass wir unsere Familie aus Deutschland herausholten. Mein Vater verlor seinen Betrieb, meine Mutter begann einen Handel mit Gebrauchtwaren, Kleidern und Ähnlichem, und ich verdiente auch Geld.“ Woher Anne erfahren hatte, dass Buddy in Minna von

Barnhelm spielte, weiß er bis heute nicht. „Vielleicht hatte mein Vater noch persönlichen Kontakt mit jemandem von Opekta in Deutschland und der wiederum mit Kleiman in Amsterdam, das ist die einzige Erklärung.“

Schreiben

„In unserer Familie gab es viel Kreativität. Unsere Großmutter, die wir Omi oder einfach ‚I’ nannten, schrieb Gedichte. Sie war eine besondere Frau mit sehr viel Phantasie. Als ich klein war, so mit fünf, durfte ich am Sonntagmorgen, wenn alle noch schliefen, zu ihr ins Bett kommen. Sie legte den Arm um mich, wir hörten uns ein Konzert im Radio an, und sie erzählte mir immer eine schöne Geschichte über Mäuse. Jeden Sonntag eine andere. Ich bin mir sicher, dass meine Großmutter auch Margot und Anne Frank solche schönen Geschichten erzählt hat. Anne muss von der Phantasie meiner Großmutter fasziniert gewesen sein. Vielleicht war ihr das auch für ihr eigenes Schreiben noch von Nutzen. Mein Bruder Stephan war wie Anne sehr sprachbegabt. Er schrieb viele Kabarettszenen. Über mein erstes Sommerengagement machte er ein schönes Wortspiel. Ich arbeitete in der Schweizer Stadt Winterthur. Wir wohnten in der Herbstgasse. Im April hatte ich die Vorbesprechung für meine Auftritte. Mein Bruder kam nach Hause und sagte zu meinen Eltern: ‚Buddy aus der Herbstgasse geht im Frühling ins Sommertheater in Winterthur.’“

Familie

„Meine Familie war für mich sehr wichtig. Ich bin mein ganzes Leben in Basel wohnen geblieben. Nach allen Tourneen bin ich in unser Familienhaus in der Herbstgasse zurückgekehrt. Otto Frank und seine zweite Frau Fritzi haben hier auch eine Weile gewohnt, als sie nach Basel gezogen sind. Ich war über vierzig, als ich heiratete, und ich habe noch zwei Söhne bekommen. Seit kurzem sind wir Großeltern, das ist für mich etwas ganz Wunderbares.“

Der jüdische Glaube

„Der Glaube spielte in meiner Familie kaum eine Rolle. Wir sind Juden, aber wir hielten uns nicht an religiöse Gesetze. Ich bin antireligiös, weil der Glaube die Menschheit immer vor allem getrennt statt verbunden hat. Millionen Menschen sind wegen des Glaubens gestorben. Es gibt auf der Welt mehr als 2000 Religionsgemeinschaften, die sich alle unterscheiden. Und jede von ihnen meint, nur ihr Glaube sei der einzig wahre. Das kann ich nicht akzeptieren. Jeder gläubige Mensch hat meinen Respekt. Jeder Mensch soll nach seinen eigenen Vorstellungen leben, auf seine Weise selig werden, das ist meine Devise. Ich bin sehr tolerant. Der einzige in unserer Familie, der Bar-Mizwa gefeiert hat, ist seltsamerweise mein Sohn Oliver. Nach orthodoxer Auffassung ist er eigentlich gar kein Jude, weil seine Mutter keine Jüdin ist.“

Keine Heilige

„Als ich zum ersten Mal las, was Anne in ihrem Tagebuch über mich geschrieben hatte, war ich sehr ergriffen. Ich wäre so gern noch einmal mit ihr Schlittschuh gelaufen. Dass wir in der Schweiz der Judenverfolgung entronnen sind, war reiner Zufall. Gut, wir hatten auch hier große Angst. Meine Mutter und ich sind irgendwann in Panik in einen anderen Teil der Schweiz geflohen. Wir haben unsere deutsche Staatsbürgerschaft verloren usw., aber zum Glück lebten wir hier. Aber dass Anne und ihre Familie und Millionen anderer ermordet worden sind, bereitet mir tiefen Kummer.“

 

Eines der ersten Interviews mit Buddy Elias für eine Zeitung, den Hutchinson News Herald (Vereinigte Staaten) 1956

„Dass Anne so viel für die Welt bedeutet, hat für mich großes Gewicht. Ich war immer sehr stolz auf meine Cousine. Ich habe überall Interviews gegeben und von ihr erzählt, in Schulen, im Radio oder für Zeitungen. Ich finde es wichtig, zu zeigen, wie Anne war, keine Heilige, sondern ein Mädchen wie andere auch, mit guten und schlechten Eigenschaften. Ein gewöhnliches Mädchen mit einem außergewöhnlichen Talent zum Schreiben. Dass sie sich als Fünfzehnjährige schon mit solchen Themen wie Frauenemanzipation beschäftigt hat, finde ich faszinierend. Ihr Tagebuch gehört der ganzen Welt. Anne Franks Leben und ihre Bedeutung geht weit über den Kreis der Familie hinaus.“

ANNE FRANK-Fonds

„Seit der Gründung in den sechziger Jahren engagiere ich mich beim ANNE FRANK-Fonds. Als Otto Frank diese Stiftung ins Leben rief, bat er meinen Bruder und mich um unsere Mitarbeit. Der ANNE FRANK-Fonds verbreitet die Botschaft aus den Tagebuchtexten von Anne Frank: Es geht darum, Rassismus und Antisemitismus in allen Erscheinungsformen zu bekämpfen. Wir verwalten die Rechte an Annes Tagebuch und schützen es gegen Angriffe von rechtsextremer Seite. Ein Teil unserer Einnahmen wird für die Förderung von Projekten verwendet. Wir erhalten ständig Anfragen verschiedener Initiativen, die mal viel, mal wenig mit Anne Frank zu tun haben. Wir besprechen, welche Projekte wir finanziell unterstützen. Es ist sagenhaft, dass Anne Frank noch immer eine so große Bedeutung für die Menschen hat und dass sie so viel unternehmen möchten. Für mich ist Anne Frank mein zweites Leben, meine Verpflichtung gegenüber dem Humanismus. Wir müssen Anne Franks Toleranzgedanken an die heutige Jugend weitergeben. Heute, wo der Rechtsradikalismus wieder um sich greift, ist es wichtig, dass Jugendliche lernen, wohin so eine Denkweise führen kann.

Anne Frank Fonds Basel
www.annefrank.ch 

Anne in de buurt: http://www.anne-in-de-buurt.nl  (©Tjerk van der Veen, Den Haag, 2005/06)

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