Zum 90. Geburtstag von Gertrud Naumann am 28. März 2007 Hommage an die Frankfurter Freundin von Margot und Anne Frank
Von Heide Kramer, März 2007
©Frau Gertrud und Herr Karl Trenz, 1999
Die Frankfurterin Gertrud Naumann ist zur wichtigen Zeitzeugin des Schicksals der Anne Frank geworden. Eindrucksvoll hat Ernst Schnabel 1958 in seiner Publikation "Anne Frank - Spur eines Kindes" Gertrud Naumann gewürdigt, die Zeit ihres Lebens immer wieder von Journalisten und Biografen befragt worden ist.
Die Lehrertochter wird am 28. März 1917 als Jüngste von sechs Geschwistern in Frankfurt am Main geboren. Sie verlebt in einem katholisch geprägten Elternhaus eine unbeschwerte Jugendzeit. Die Familie wohnt am Marbachweg. Gertrud ist aufgeschlossen und pflegt rege Kontakte mit allen Kindern aus der Nachbarschaft. Erhalten gebliebene Fotos zeigen das fröhliche Mädchen mit dem lieben Gesicht und den langen dicken Zöpfen meistens inmitten einer großen Kinderschar. Gertrud ist vernarrt in Kinder und sorgt sich besonders um alle Kleinen. Sie kann an keinem Kinderwagen vorbeigehen, ohne zuvor hingerissen und fasziniert hineingeschaut zu haben.
Als die jüdische Familie Frank im Jahre 1927 in den Marbachweg zieht, schließt Gertrud Naumann schnell mit den neuen Nachbarn Freundschaft, denn dort gibt es die einjährige Tochter Margot.
©Gertrud Naumann und Margot Frank in Frankfurt am Main (um 1930)
Durch die Kinder lernen sich die Familien Naumann und Frank näher kennen. Das zunächst zuverlässige nachbarschaftliche Verhältnis entwickelt sich zu einer intensiven Freundschaft. Die geselligen Familien laden sich gegenseitig zu unterschiedlichen Anlässen ein.
Anfang der dreißiger Jahre macht sich auch in Frankfurt am Main der politische Zeitgeist bemerkbar. Dass die Franks Juden sind, stört die Naumanns jedoch nicht. Die Familien behandeln sich gegenseitig uneingeschränkt souverän und freundschaftlich. Als Gertrud ihre Erste Heilige Kommunion begeht, bleibt die kleine Margot bei den Festlichkeiten selbstverständlich nicht uneingeladen. Umgekehrt ist auch Gertrud oft Gast bei der Familie Frank. Die Franks sind liberale Juden. --- Gertrud spielt mit Margot und nimmt sich ihrer gewissenhaft an, wann immer es ihr möglich ist.
Bald gibt es Fotos mit Gertrud, Margot, Frau Frank und anderen Nachbarskindern, die der häufig fotografierende Vater Frank aufgenommen hat. Hin und wieder ist da auch Bernhard Elias zu sehen. Bernhard, der etwas ältere Cousin von Margot, wird Buddy genannt. Seine Mutter ist die Schwester von Margots Vater. Der Familie Elias wird rechtzeitig die Übersiedlung in die Schweiz gelingen.
Gertrud liebt die kleine Margot Frank mit den "riesengroßen schwarzen Kulleraugen" (1). Frau Edith Frank hat schließlich so viel Vertrauen zu Gertrud, dass sie das Mädchen mitunter bittet, auf Margot zu achten, wenn Besorgungen zu erledigen sind und die Kleine nicht mitgenommen werden kann. Allmählich gehört Gertrud zur Familie und ist "Kind im Hause" (2) der Franks. Sie erfährt dort viel Zuwendung und Großzügigkeit.
Im Juni 1929 bekommt die dreijährige Margot eine kleine Schwester Annelies Marie, die später Anne genannt wird. Für die nun zwölfjährige Gertrud ist das ein weiterer Grund, sich noch näher an die Franks anzuschließen. Das Baby ist ferner 'die Sensation' bei allen anderen Nachbarskindern vom Marbachweg. Vater Frank lässt neue Fotos entstehen: Baby Anne im Arm von Mutter Edith und Schwesterchen Margot als Mittelpunkt, von entzückten Nachbarskindern umringt, worunter sich auch Gertrud befindet. Alle bestaunen das neue Kind. Die Nachbarn mögen die Familie Frank. Gertrud erinnert sich an einen lustigen Vorfall. Als die bereits herangewachsene Anne Frank einmal zum Nachmittagskaffee bei Familie Naumann eingeladen ist, starrt sie unverwandt zu Gertruds Vater, um dann direkt über den Tisch hinweg zu ihm zu sagen: "Sie haben ja Katzenaugen!" (3) -- Gertruds ältere Schwester Elisabeth ist eine geschickte Schneiderin. Weil auch sie die Kinder Frank liebt, näht sie für die kleinen Mädchen Margot und Anne Kleidchen. Sie sind bleu und aus einem seidigen Stoff (4).
Nachdem der Druck der Nazis auf die Juden zunimmt, verlässt der Kaufmann Otto Frank 1933 seine Heimatstadt Frankfurt am Main. Zunächst sucht er allein in Holland Arbeit und eine Bleibe für seine Familie. Er lässt sich in Amsterdam nieder und holt zu einem etwas späteren Zeitpunkt seine Angehörigen nach. Seine Ehefrau Edith zieht zunächst mit den Töchtern von Frankfurt in ihre Heimatstadt Aachen. Zu jenem Zeitpunkt befinden sich die siebenjährige Margot und die vierjährige Anne also auf der Durchreise und (noch) unter dem Schutz ihrer Aachener Oma (mütterlicherseits). Eine in Aachen entstandene Fotografie aus dem Jahre 1933 dokumentiert die Schwestern, bevor sie Deutschland verlassen müssen. Beide tragen die von Gertruds Schwester Elisabeth genähten Kleidchen. Ich schließe das Foto so sehr ins Herz, dass ich es als Anregung für mein Aquarell auswähle, das ich Gertrud im Dezember 1998 schenke. Es ist der Auftakt unserer intensiven herzlichen Freundschaft.
Nach der Emigration der Franks in die Niederlande reißt der Kontakt der Familien Naumann und Frank auch die folgenden Jahre nicht ab. Das belegen zahlreiche Spuren: Existente Postkarten von der gerade Schreiben lernenden Margot an Gertrud, später auch von Anne Briefchen, Geburtstagsglückwünsche oder einfach nur "Liebe Grüße an Gertrud. Deine Anne". Bis 1937 kann Otto Frank hin und wieder von Amsterdam nach Frankfurt reisen. Bei einem Besuch sagt er zu Gertrud während eines gemeinsamen Spazierganges unvermittelt: "Wenn wir jetzt so zusammen entdeckt würden, würden wir verhaftet werden".( 5) Es wird für lange Zeit der letzte Aufenthalt Otto Franks in seiner Heimatstadt Frankfurt sein.
Den Aufruf zum Arbeitseinsatz für die sechzehnjährige Margot Frank nach Deutschland nimmt Herr Frank im Sommer 1942 zum Anlass, unverzüglich mit seiner Ehefrau und den Töchtern in das lange vorbereitete Amsterdamer Versteck Prinsengracht unterzutauchen. Hier verbleiben die Menschen mit noch weiteren vier Personen. Sie werden verraten, am 4. August 1944 verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Siehe: Margot und Anne in Auschwitz und Bergen-Belsen
Am 27. Januar 1945 wird Otto Frank in Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Er hat als einziger aus seiner Familie überlebt: seine Ehefrau Edith stirbt am 6. Januar 1945 in Auschwitz, seine Töchter Margot und Anne sterben im März 1945 in Bergen-Belsen. Als Otto Frank nach 1945 erstmals wieder in Frankfurt am Main ist, nimmt er sofort zu der dort verbliebenen Gertrud Naumann Kontakt auf. Vater Frank lernt hier ihren Verlobten Karl Trenz kennen, der vor kurzem aus der Gefangenschaft nach Frankfurt zurückgekehrt ist. Gertrud und Karl heiraten 1949 und bekommen drei Kinder. Otto Frank bleibt mit Gertrud und ihrer Familie bis zu seinem Tod im Jahre 1980 in enger freundschaftlicher Verbindung. Verleben Gertrud und Karl gemeinsam mit ihren Kindern die Ferien in der Schweiz, lassen sie es sich nicht nehmen, ihren "Papa Frank" und seine zweite Ehefrau Fritzi in Birsfelden zu besuchen.
Am 1. Dezember 2002 stirbt Gertrud Trenz-Naumann im Alter von 85 Jahren in Frankfurt am Main. Ihr Mann Karl folgt ihr am 15. September 2003.
©Textbeitrag: Heide Kramer, Hannover, März 2007.
©Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Frau Gertrud Trenz-Naumann, Frankfurt am Main. "Margot und Anne in Aachen, 1933" (Aquarell von ©Heide Kramer, Dezember 1998).
©Zitate 1 – 5: Frau Gertrud Trenz-Naumann, Frankfurt am Main. (Stand: September 2010)
©Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Frau Gertrud Trenz-Naumann, Frankfurt am Main. "Margot und Anne in Aachen, 1933" (Aquarell von ©Heide Kramer, Dezember 1998).
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